Die Maßnahmen führen zu vielen Protesten von Presse und Politikern und stellen sich in der Praxis als schwierig zu handhaben heraus: nach wie vor kommen Flüchtlinge ins Land, vor allem dank privater Hilfsorganisationen, und es ist noch nicht so einfach, sie wieder zurückzuschicken. Insgesammt sind rund 40.000 Jüden in den Niederlanden geflüchtet.
Frankreich und Belgien treffen ähnliche Maßnahmen wie die Niederlande. Die Schweiz und Schweden bitten 1938 das Naziregime sogar darum, die Pässe von Juden mit einem ‘J’ zu versehen, damit der Zoll an der Grenze sie leicht aufhalten kann. Die Schweiz, die wohl politische Flüchtlinge zulässt, bemüht sich bis weit in den Krieg hinein sehr, jüdische Flüchtlinge, aber auch Sinti und Roma aus Deutschland, Österreich und Frankreich, aufzuhalten. Sie schickt sie zurück, wenn sie doch innerhalb der Schweizer Grenzen angetroffen werden. Das neutrale Schweden lässt schließlich, neben politischen Flüchtlingen, vor dem Krieg 3.000 jüdische Flüchtlinge zu und wird während des Krieges großzügiger. 1942 entkommen 900 norwegische Juden nach Schweden, und 1943 mehr als 7.220 der 7.800 Juden aus Dänemark*. Auch zehntausende andere Norweger, Dänen und Finnen werden von Schweden zugelassen.
Dänemark selber lässt übrigens (neben 1.500, die nach Palästina weiterreisen) nur 1.500 jüdische Flüchtlinge zu. Sie müssen Kostbarkeiten und den größten Teil ihres Geldes abgeben “um die Kosten für ihren Aufenthalt zu decken”.
Vor dem Krieg versuchen mehr als 500.000 Juden Zugang zu Großbritannien zu bekommen, aber es werden nur 80.000 zugelassen. Im Sommer 1938 beschließt das britische Parlament, gar keine jüdischen Flüchtlinge mehr zuzulassen, bis auf mehr als 10.000 Kinder – ohne ihre Eltern – aus Deutschland, Österreich und der Tschechoslowakei. Es gelingt in den Kriegsjahren doch noch circa 10.000 Juden, Großbritannien zu erreichen.
Auffällige Tatsache: während diese Länder mit Hitler-Deutschland befreundet sind, legen die offiziell neutralen Länder Spanien und Portugal (und die Türkei) den jüdischen Flüchtlingen die geringsten Steine in den Weg.
Spanien verleiht jüdischen Flüchtlingen in großem Maße die spanische Staatsangehörigkeit, vor allem französisch-, ungarisch-, griechisch-, bulgarisch- und rumänischstämmigen Juden. Daneben erhalten zehntausende Juden Durchfahrt nach Afrika und vor allem Portugal, von wo aus sie in vielen Fällen weiterreisen in die Vereinigten Staaten oder nach Lateinamerika.
Über die Anzahl Flüchtlinge in Portugal machen sehr unterschiedliche Schätzungen die Runde. Es ist annehmbar, dass Portugal 30.000 bis 40.000 jüdische Flüchtlinge aufgenommen hat und weitere zehntausende über Portugal nach Nord- und Lateinamerika entkommen sind. Das faschistische portugiesische Regime möchte zwar keine jüdischen Flüchtlinge zulassen, aber die Praxis ist anders. So stellt der portugiesische Konsul in Bordeaux, Aristides de Sousa Mendes, Juden tausende Visa aus.
Auch die offizielle Politik der Türkei ist es, jüdischen Flüchtlingen keine Visa auszustellen, aber individuelle türkische Diplomaten halten sich nicht daran. Schätzungsweise 15.000 Juden aus Frankreich (viele türkischstämmig) und 20.000 Juden aus Osteuropa können dadurch sicher in die Türkei entkommen.
* Im September 1943 warnt ein deutscher Diplomat, dass die dänischen Juden, die bis dahin in Ruhe gelassen worden sind, deportiert werden. Mit Hilfe von vielen „normalen“ Bürgern werden 7.220 Juden und 686 nichtjüdische Ehepartner eiligst auf (Fischer)Booten in das neutrale Schweden gebracht. 464 Juden werden verhaftet und nach Theresienstadt deportiert, wo 51 – vor allem ältere und kranke – sterben. Mehr als hundert Juden tauchen unter.