Sehen Sie die Geschichte von Wolfgang Maas und Thea Windmuller in 8 Minuten

Wolfgang Maas ist 16 Jahre alt, als er 1936 aus Nazi-Deutschland flüchtet. Er landet in den Niederlanden, in Winterswijk, wo er durch die Jüdische Gemeinde aufgefangen wird und eine Ausbildung machen kann. Wolfgang verliebt sich heftig in Thea Windmuller. Inzwischen ist der Zweite Weltkrieg ausgebrochen. Jetzt brechen auch in den Niederlanden schwere Zeiten für die Juden an. Wolfgang und Thea tauchen unter, fern voneinander. Von diesem Zeitpunkt an besteht ihr Leben nur noch aus Flucht vor den Nazis.

78 Briefe von Wolfgang an Thea sind erhalten geblieben. In fünf Tagebüchern folgen wir Thea von 1939 an, beginnend mit einer fröhlichen, sorgenfreien Jugend, immer besorgter wegen der Transporte nach Polenwerdend, durch ihre Zeit als Untergetauchte hindurch bis zum Ende, als Wolfgang und sie verhaftet und auf Transport nach Auschwitz gestellt werden.

Wolfgang Maas

Der jüdische Junge Wolfgang Maas und seine Familie leben in Gelsenkirchen, Deutschland. Ab 1933 machen die Nazis das Leben der Juden Schritt für Schritt unmöglich. Viele deutsche Juden hoffen, im Ausland Sicherheit zu finden, und wollen flüchten.

Gelsenkirchen 1938

Aber da werden sie enttäuscht. Schon bald schließen Länder ihre Grenzen für die jüdischen Flüchtlinge, aus Angst ‘überschwemmt’ und in hohe Kosten gestürzt zu werden. Auch wollen sie dem Handel mit Deutschland nicht schaden. Als die deutsche Kriegsaggression zunimmt, kommt noch ein Problem hinzu: sind unter diesen deutschen Flüchtlingen keine Spione und Saboteure?

Es ist das Jahr 1936. Wolfgang ist 16 Jahre alt, und in Deutschland darf er als Jude keinen Beruf lernen. Direkt nach der Grenze liegt in den Niederlanden Winterswijk: ein Ort mit einer großen jüdischen Gemeinde, die Flüchtlingen aus Deutschland Hilfe bietet. Hier kommt Wolfgang unter. Er besucht die Technische Schule, um Maler zu werden. Sein Leben hat wieder Zukunft. In Winterswijk lernt er Thea Windmuller kennen.

Zum Strand mit aus Deutschland geflüchteten Jungs, 1939. V.l.n.r. unbekannt, Leni Schwarz, Michel Nihom, Thea Windmuller, Heinz Wolff, Paula Philips, Wolfgang Maas

Thea Windmuller

Thea, 1938

Als der Krieg ausbricht, ist Thea Windmuller 19 Jahre. Sie wohnt bei ihren Eltern über ihrem Bekleidungsgeschäft. Auch ihre Schwester Martha wohnt dort mit Mann und Kind. Thea hilft gerne mit im Geschäft, ihre Hobbys sind Tischtennis und Korfball (Anm.d.Üb.: die niederländische Sportart ähnelt dem Korbball). Sie geht mit ihrem Freundeskreis gerne aus und auf dem Weg nach Hause essen sie dann Knackwürstchen. Sie ist beliebt und flirtet gern. In ihrem Tagebuch nennt sie sich selber mannstoll.

17. Mai 1940

19 Jahre alt geworden, schon ein beachtliches Alter. (…) Schade, dass mein Geburtstag in so eine Zeit fallen musste. Rotterdam bombardiert, schrecklich. Hier in der Nähe, bei Aalten, eine Bombe gefallen. Was für eine schreckliche Zeit.

Verliebt

Wolfgang Maas in Winterswijk, 1942

Bei einer Feier, wo alle besoffen waren, tanzt Wolfgang auf dem Tisch. Danach hat er den Mut, Thea anzusprechen. Er bringt sie nach Hause. Thea findet ihn nett, aber es dauert noch ein Jahr, bis sie richtig miteinander gehen. Als Wolfgang sie dann zum ersten Mal küsst, rennt er total nervös schnellstens davon.

Wolfgang und Thea gehen mit einander, Frühjahr 1941

20. April 1941

(…) Ich gehe nun schon ziemlich lang mit Wolfgang, seit dem Tischtennis-Turnier in Doetinchem und das war am 9. März. Ich verstehe nicht, was er in mir sieht, er ist wirklich so ein feiner Kerl. Überhaupt nicht leidenschaftlich, richtig jemand, um ihn als Freund zu haben. (…) In seinem Verhalten ist er überhaupt kein ‘Mof’ ((‘Mof’ ist im Niederländischen eine abwertende Bezeichnung für einen Deutschen), er ist Maler, wirklich ein einfacher junger Mann. (…) Zu Hause sind sie dagegen, weil er ein Deutscher ist. Nun, ich schere mich doch nicht darum. (Aus dem zweiten Tagebuch von Thea.)

Inzwischen ist der Krieg in vollem Gange.

Im Herbst 1941 wird der Familie Windmuller der Laden und die Wohnung weggenommen. Thea nimmt eine Stelle als Dienstbote in Zutphen an. Wolfgang und Thea schreiben sich oft, und an den Wochenenden kommt Thea nach Winterswijk.


Kurz vor Pfingsten 1942 werden in Zutphen 65 jüdische junge Männer festgenommen und in ein Arbeitslager geschickt. Thea hat Angst, dass das auch Wolfgang passieren wird, aber er beruhigt sie: er hat doch eine Arbeitserlaubnis! Er käme höchstens ins Flüchtlingslager Westerbork, aber das ist nicht auf viele Menschen eingestellt, also wird es wohl halb so schlimm sein.

Untertauch

Im Sommer 1942 vermehren sich die Berichte, dass Juden nach Polen geschickt werden. Ein Grund, um sich auf die Suche nach Untertauchadressen zu machen. Wolfgang schreibt in Codesprache an Thea: “Gestern ist ‘der Mann’ hier gewesen und es scheint, dass für dich alles in Ordnung geht.”

Theas erste Untertauchadresse ist bei einem Pfarrerehepaar in Friesland. Von da an wird sie Tonny genannt. Hier beginnt sie ihr fünftes Tagebuch.

29. September 1942

Ich, Tonny genannt, will jetzt voll neuen Mutes dieses Tagebuch beginnen. Momentan wohne ich bei meinem Onkel und meiner Tante in Oudega. Es gefällt mir hier ganz gut und ich habe schönes Wetter. Von der Sprache verstehe ich überhaupt gar nichts. Alles ist hier auch anders als zu Hause. Das Wasser müssen wir hochpumpen und im Hauswirtschaftsraum ist weißer Sand zwischen den kleinen Steinchen gestreut. Sieht sehr schön aus. Wir essen sehr lecker und gestern hatte jeder noch ein Stückchen Speck und heute einen Teller Buttermilchbrei, der auch prima schmeckte. (…) Tante und Onkel sind doch solche liebe Leute, man fühlt sich hier so wohl wie zu Hause und das ist wirklich so schön.

Ab September 1942 ist Thea untergetaucht in Friesland. Thea und Wolfgang können sich nicht mehr mit Hilfe der Post schreiben. Kuriere überbringen Briefchen. Diese können in falsche Hände geraten. Darum müssen sie durch die Blume schreiben. Von nun unterschreibt Wolfgang mit “Onkel Wim”.

Thea muss immer, wenn Gefahr droht, zu einer neuen Untertauchadresse. Mit manchen von denen, die ihr Unterschlupf gewähren, versteht sie sich gut, mit anderen gar nicht.

Von den Menschen, die in ihrer Umgebung im Widerstand sind, hört Thea viel über den Krieg. Sie schreibt: “Was werden die Strafen sein für die Menschen, die uns beherbergen, die Todesstrafe, eine Kugel. (…) Gibt es Rettung und Umkehr? Kein einziger Lichtblick nirgends. Wird es Rettung geben oder werden wir alle getötet werden.”

Thea, August 1942

Wolfgang warnt, dass Thea und ihre Schwester Martha (Untertauchname: Mattie) gut aufpassen müssen im lebhaften Verkehr. Es ist kalt, sie können besser zuhause bleiben. Er legt nochmal dick auf: dass Menschen ertrunken sind, weil sie nicht auf ihre Mutter hörten. Er denkt selber auch, dass er in Kürze “in Urlaub fahren wird”, d.h.: untertauchen.

Auch Wolfgang taucht unter, im Korenburgerveen bei Winterswijk. Das Versteck wird verraten, und er entkommt nur knapp. Ein paar Wochen später berichtet er Thea, dass er in Sicherheit ist. Wolfgang ist jetzt in einer sehr guten und angenehmen Untertauchadresse. Er möchte, dass Thea auch dort hinkommt und schickt Menschen nach Friesland, um seine Geliebte abzuholen.

Das erste Mal ist sie gerade zu einer anderen Adresse aufgebrochen, und das zweite Mal halten die Menschen, die ihr Unterschlupf gewähren, sie zurück. Kurz überlegt sich Wolfgang, selber nach Friesland zu fahren, aber das ist doch zu gefährlich. Er macht sich ernsthafte Sorgen um Thea. Ihre Eltern und Schwester Lies sind über Lager Westerbork nach Polen abgeführt worden und sie wird immer schwermütiger.

8. April 1943

(…) Dann noch dies, Du musst nicht denken, dass ich zu Euch kommen wollte, weil ich es einfach nicht mehr aushalten konnte, aber ich weiß, wie niedergeschlagen Du manchmal bist, Tonny, und das war der eigentliche Magnet. Sieh mal, für mich ist es sehr viel einfacher, das weiß ich. Meine Eltern sind gut untergebracht und das macht viel aus, aber Du hast doch mich und daran musst Du Dich klammern.


Thea hat es sehr schwer mit ihrem Leben im Versteck.

31. August 1943

Soll ich jetzt mal ein bisschen über das Leben, das ich im Augenblick habe, schreiben. Das Beste wäre, wenn wir Puppen wären, immer rechtzeitig ja und nein sagen könnten. Immer gehorsam, alle Arbeiten mit Freude machen, auf Kommando reden, still sein und lachen! Aber da ich keine Puppe bin, ist das Leben manchmal sehr schwierig. Es fällt ganz und gar nicht leicht, wenn man, wie ich, irgendwo ungefähr ein Jahr ist, um immer auf Distanz zu bleiben. Ich meine, alles fragen, darf man dies oder das! Es ist so unangenehm, dass man, wenn man etwas tut, immer denken muss: “ist es wohl erlaubt?” Dann immer zu denken, werde ich nicht zu freimütig? So wird das Leben manchmal eine Qual und du lebst unter Druck! Das Leben ist Komödie, je besser man es spielt, umso einfacher ist alles.

Die Beziehung zu denen, die ihr Unterschlupf gewähren, wird unerträglich und Thea geht zu einer neuen Adresse, wo sie sich etwas besser fühlt. Aber sie möchte nicht länger von Wolfgang getrennt sein. Sie beschließt, auf eigene Faust zu ihm zu gehen. Ihre Schwestern wollen sie umstimmen. Bis sie sehen, wie schlecht es ihr geht; dann lassen sie sie gehen.

Dezember 1943

Er erschrak zu Tode, aber den ersten Kuss von ihm werde ich nie vergessen. Ach, du kannst dir nicht vorstellen, wie glücklich ich war. Und dann der Abend, an dem er zu mir kam, ich weiß nicht, wie ich das beschreiben soll. So ganz zu wissen, dass er alles für mich ist und dass er alles für mich macht, mich ganz beschützt zu fühlen, dass ich ihm gegenüber alles äußern darf. Es ist so wunderschön, nicht zu beschreiben! Der schönste Augenblick des Tages ist abends, so herrlich, abends sind wir zusammen. So etwas vergisst man sein Leben lang nicht. Ach, ich bin so ein komisches Wesen und habe jetzt wieder Angst, dass dieses schöne Leben nicht so lange dauern kann.

Theas Tagebuch endet am 10. Dezember 1943. Vier Tage später, am 14. Dezember, werden alle acht Untergetauchten an der Adresse Bestevaerstraat 185 in Amsterdam verhaftet und zum Sicherheitsdienst am Scheltemaplein gebracht. Zwei Tage später kommen Wolfgang und Thea in Westerbork an, und am 25. Januar gehen sie auf Transport nach Auschwitz. Thea wird am 28. Januar vergast.

Wolfgang ist in das Arbeitslager Monowitz Buna geschickt worden. Bei Ankunft am 3. März 1944 gelangt er in die Krankenbaracke. Am 8. März wird er dort wieder entlassen. Weitere Spuren fehlen.

Seine Eltern in Brasilien, Verwandte und Freunde wenden nach dem Krieg noch ganz viel Mühe auf, um Nachrichten über ihn zu bekommen. Bis Anfang 1944 haben sie noch Briefe von ihm erhalten über das Rote Kreuz.

Hope you well   your parents fine   write
Alice Davids

Sehr geehrter Herr van Gelder,
von der Fam. Maas, wohnhaft in Sao Paulo, Brasilien, erhielten wir ein Ersuchen um Auskunft über ihren Sohn: WOLFGANG MAAS, geb. 19. Febr. 1920. Er hielt sich seit 1936 in Winterswijk auf und besuchte dort die Berufsfachschule. Zunächst hielt er sich bei der Fam. Philips, Gasthuisstr. 102 auf, später bei Jan Gijbers, Gasthuisstraat 83 in Ihrer Gemeinde. Bis Anfang 1944 erhielten seine Eltern noch regelmäßig Rot-Kreuz-Briefe von ihm, danach haben sie nichts mehr von ihm gehört.
Wir würden gerne von Ihnen nähere Informationen erfahren, damit wir diese Familie nicht länger in Ungewissheit lassen müssen.

Hochachtungsvoll, JÜDISCHER KOORDINATIONSAUSSCHUSS für die Bezirke Twenthe und Geld. Achterhoek

Ein Jugendfreund von Wolfgang sagt 1954 aus, dass er gehört hat, dass Wolfgang im Laufe des Jahres 1944 in Auschwitz an Ruhr gestorben sei.

Theas Schwestern Martha und Betty, ein Schwager und zwei Kusinen überleben im Versteck.

© Bilder und Briefe: Mirjam Schwarz, Winterswijk


In der Ausstellung wird die Geschichte von Wolfgang und Thea erzählt von dem Schauspieler Rauand Taleb (Sulaimanyia, 20-02-1992). Als fünfjähriger Bub floh er mit seiner Familie nach Deutschland. Links Alex Bakker.

Szenario und Richtung: Alex Bakker
Kamera: Christian Passeri
Assistenz: Marielle Sjømo Samstad
Editing und Montage: Erik Willems, JOB Producties
Übersetzung: Olaf Jelinski/Richard Gonlag
Berlin, August 2017
Wir bedanken uns bei Richard Gonlag